Von 1882 an wurde auf Weisung von König Karl, Sohn und Nachfolger von Wilhelm I., das Cannstatter Volksfest bzw. - wie es damals hieß - das "Landwirtschaftliche Hauptfest" nicht mehr alljährlich, sondern nur noch alle 2 Jahre veranstaltet. Bis zum Tod des Königs 1891 blieb diese Regelung erhalten. Ihr und einer Reihe volksfestloser Jahre während und nach den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert ist es zu "verdanken", dass wir heute nicht, wie der Stifter Wilhelm I. sich dies vielleicht vorgestellt hätte, das 187ste, sondern eben "erst" das 160ste Cannstatter Volksfest feiern – denn insgesamt 28 Jahre blieben volksfestlos.
1868 dann das erste Volksfestjubiläum zum 50sten. Bis dahin hat das Fest alljährlich und ausnahmslos stattgefunden. 1935 ist das erste Hundert voll: das 100ste Cannstatter Volksfest wird gefeiert - unter einer damals hakenkreuzbekrönten Fruchtsäule.
Die wenigste Zeit hat das Cannstatter Volksfest solange gedauert wie heute. Im 19. Jahrhundert gab es zunächst mal nur einen einzigen, etwas später 3, dann 4, ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts schließlich 5 Volksfesttage.
Nach dem 2. Weltkrieg erlebte das nun schon sehr traditionsreiche Fest schließlich die Ausdehnung in vertraute Dimensionen: mit Beginn der 50er Jahre 10, dann 12 und seit 1972 die heute üblichen 16 Festtage. Nach dem 1. Weltkrieg, mit dem Beginn der ersten deutschen Republik, wurde die inzwischen über 100jährige Fruchtsäule als "monarchistisches" Überbleibsel vom Cannstatter Wasen verbannt. Seit 1935, dem 100sten Jahrestag, steht sie dann wieder auf ihrem angestammten Platz.
In der Frühzeit waren die so genannten "Volksfest-Buden" mit Schaustellern und Bierausschank noch gering an der Zahl und blieben zugunsten der königlichen Loge und der Honoratioren-Tribünen an den Rand des eigentlichen Festgeländes verbannt.
Etwas später, im Jahr 1860, wird dann im "Amts- und Intelligenzblatt für das Oberamt Cannstatt" bereits von einer für heutige Ohren recht vertraut klingenden Szenerie berichtet, nach der die Buden zum ersten Mal "in 3 Hauptstraßen und zahlreichen Nebenstraßen angeordnet" worden waren. Dies vor allen Dingen deshalb, weil so "den von Jahr zu Jahr immer gewaltiger werdenden Menschenmassen gestattet ward, sich möglichst auszudehnen und frei zu bewegen".
Umzüge zum Volksfest hat es beinahe immer gegeben. Aus dem Jahr 1841 wird von einem Festzug mit mehr als 10.000 Teilnehmern und weit über 100.000 (!) Zuschauern längs der Straßen Stuttgarts berichtet. An diesem Tag wurde nicht nur das Fest selbst, sondern auch das 25jährige Regierungsjubiläum des Stifters, König Wilhelms I., gefeiert.
Und noch etwas zur Teilnehmerzahl: Stuttgart hatte damals gerade Mal 40.000 Einwohner!
1911 gab es in der Heimatstadt Gottlieb Daimlers und Wilhelm Maybachs standesgemäß den ersten Volksfest-Autokorso. Den ersten Volksfestumzug im heutigen Sinne, mit offiziellem Start am Stuttgarter Schlossplatz und endend auf dem Wasen, fand 1927 statt. Der wohl bis heute nicht überbotene Festumzugs-Rekord wurde dann 1954 aufgestellt, als über 300.000 Zuschauer zwischen Schlossplatz und Wasen die Straßen säumten.
Gruß-Postkarten vom Cannstatter Volksfest um 1900 |
Mit dem Wandel der Veranstaltung vom Landwirtschaftsfest zum Vergnügungsfest in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem zunehmenden Andrang nicht ortsansässiger Schausteller und Wirtschaften wurde begonnen, die zur Verfügung stehende Wasen-Fläche unter den Interessenten meistbietend zu versteigern.
Im Jahr 1893 wurden so von der Gemeinde 12.737 Mark, 1897 36.605 und 1908 bereits 52.000 Mark eingenommen. Die Wirtschaften reagierten auf den Preisdruck durch die Versteigerungen mit drastischen Bierpreiserhöhungen - mit der Folge spürbarer Umsatzrückgänge in den folgenden Volksfestjahren.
Unter diesem Eindruck begann die Stadt Stuttgart (Bad Cannstatt ist seit 1909 eingemeindet), zumindest die größeren Plätze nicht mehr zu versteigern, sondern mehrjährig zu verpachten.
Nach dem 2. Weltkrieg ging man schließlich zu der heute üblichen Verrechnung nach gemieteten Quadratmetern über, eine Praxis, die den Wirten und Schaustellern erhebliche Verteuerung des Platzgeldes, der Stadt Stuttgart eine ebenso erhebliche Minderung ihrer jährlichen Volksfest-Finanzspritzen und den Wasenbesuchern stetig steigende Bierpreise bescherte.
Aus dem Jahr 1846 ist folgende Pressenotiz überliefert: "es verdient Erwähnung, dass in einer der Buden, wo man Lagerbier ausschenkte, binnen dreier Tage 6560 Maß Bier verzapft wurden. Dabei ging es so zu, dass in der Hast und im Bierjubel nicht weniger als 150 Halbmaß und 30 Schoppengläser zerbrochen wurden oder anderweitig abhanden kamen".
Ja, die gute alte Zeit! Heutzutage sind "die Buden, wo man Bier ausschenkt" stattlichen Festzelten gewichen. Auch Temperament, Lebensfreude und Volksfestüberschwang haben zwischenzeitlich nicht gelitten! Und bei jährlich über 5 Millionen Volksfestbesuchern wird nun doch das eine oder andere Maß Bier mehr ausgeschenkt als in der, wie gesehen, ebenfalls recht turbulenten Anfangszeit.
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