Cannstatter Volksfestverein in Philadelphia/USA

 

Wasen amerikanisch

Der Cannstatter Volksfest-Verein (USA) wurde 1873 von deutschen Einwanderern in Philadelphia gegründet. Der US-Bundesstaat Pennsylvania ist ein Mekka für deutsche Einwanderer gewesen. Man spricht hier auch vom „Dutch County”, was nichts mit den Niederlanden zu tun hat, sondern der amerikanischen Aussprache von „deutsch”. 25 Prozent der knapp 13 Millionen Einwohner haben deutsche Wurzeln. Das Volksfest ist der Höhepunkt des Vereinskalenders. 

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Rudi Pflüger lebt immer noch in Philadelphia. „Seit fünf Jahren”, sagt er. Was nicht sein kann, schließlich ist der Münchner 1957 in die USA ausgewandert. Rudi Pflüger lacht. „Doch, doch, fünf Jahre.” Er lässt sich nicht beirren. Er hat Spaß daran. Der Münchner erzählt, dass er als 21-Jähriger seinen besorgten Eltern versprochen habe, er wolle „nur fünf Jahre” bleiben und danach wieder nach Bayern zurückkehren. Als die fünf Jahre vorüber waren, bat er seine Eltern, ihn doch wenigstens einmal zu besuchen. Das taten sie dann auch. Sohn Rudi aber kam nicht mit zurück. Sein Vater hat ihn geradezu gezwungen, in Philadelphia zu bleiben. Noch während des Besuchs in den USA.


Rudi Pflüger erinnert sich genau an das Gespräch mit dem Vater.

Der Vater: „Bua, du wärst richtig dumm, wenn du wieder nach Deutschland zurückkehrst.”

Der Sohn: „Aber was wird die Mutter dazu sagen?”

Der Vater: „Ich werde es ihr schon beibringen.” 


Und so sind aus den fünf Jahren inzwischen 48 Jahre geworden. Auch in Philadelphia hat Rudi Pflüger sein Deutschland. Seit neun Jahren ist er Vizepräsident des Cannstatter Volksfest-Vereins. Er war vorher bei der Vereinigung Erzgebirge. „Ich habe dort Fußball spielen können”, erinnert sich Pflüger gern. Doch Fritz Rommel, der Präsident des Cannstatter Volksfest-Vereins, hat ihn überredet. „Als Bayer liegen dir die Schwaben doch näher als das Erzgebirge”, habe der Fritz zu ihm gesagt. Pflüger hat das beherzigt und den Verein gewechselt – auch ohne Fußball bei den Cannstattern.

„Das Landhaus von Präsident James Buchanan”, sagt Pflüger stolz bei einer Führung durchs Clubhaus im Nordosten Philadelphias, an der Acadamy Road gelegen. Das war es im 19. Jahrhundert. Er bleibt vor einer Holztafel mit silbernen Namensschildern stehen. Aufgelistet sind die Präsidenten und die Direktoren. Dreißig Namen. Sie heißen Manfred Birkenholz, Edwin Mayer, Herbert Schulz, Waldemar Holzapfel, Achim und Helmut Lingohr. Deutsche Einwanderer, in die Vereinigten Staaten gekommen in den späten 50ern, frühen 60ern. Wegen eines besseren Lebens und aus Abenteuerlust, sagt Pflüger. Doch Anschluss haben die meisten Neuankömmlinge dann vor allem in deutschen Clubs wie dem Cannstatter Volksfest-Verein gefunden.

1873 wurde der Cannstatter Volksfest-Verein gegründet. Von Geschäftsmännern wie dem Konditor Godfrey Keebler oder dem Bierbrauer Christian Schmidt. Mitglied konnte werden, wer fließend Deutsch sprach und schrieb. „Das ist heute nicht mehr ganz so streng”, sagt Rudi Pflüger, „wir können vom Deutschtum nicht mehr existieren.” 1200 Mitglieder hat der Verein heute, „250 aktive deutsche Mitglieder”, betont Pflüger, „es kommt niemand mehr aus Deutschland.” Er sei damals, als er in die USA kam, der Jüngste gewesen, und er sei es heute noch, flachst Pflüger. 1,5 Millionen Dollar Jahresumsatz macht der Verein. Die „Cannstatter” vermieten ihr Clubhaus für Hochzeiten, Betriebsfeste oder Geburtstage. Höhepunkt aber ist seit 1873: das Cannstatter Volksfest am Laborday-Wochenende Anfang September.

Das 2000-Mann-Zelt ist gut gefüllt. Die Trachtenkapelle spielt „Anton aus Tirol”. Nicht nur einmal an jedem der drei Tage für die 10 000 Volksfest-Besucher. In der ersten Reihe sitzt ein älterer Mann in Lederhose. Er hat einen Ghettoblaster mitgebracht, die Record-Taste ist gedrückt. Volksmusik in deutscher Sprache ist schwer zu haben in Philadelphia. Auf den Tischen stehen Plastikbecher mit Bier. DAB aus Dortmund, Engel-Bräu aus Crailsheim. Oder Yuengling Lager aus Philadelphia. Auf den Tellern: Frankfurter Bratwurst, Leberkäs, Kassler und Maultaschen. „Haben unsere Frauen selbst gemacht”, sagt Pflüger. Oder Hamburger mit French Fries, also Pommes.



„Anton aus Tirol” ist zu Ende. Sie lieben den Anton aus Tirol genauso wie den Ententanz. „Now we play: ’In München steht ein Hofbräuhaus’, kündigt der Sprecher der Trachtenkapelle an. Er übersetzt: „In Munich steht ein Hofbräuhaus.” One, two, gsuffa.

In der Bar des Cannstatter Clubhauses läuft der Fernseher. Wie in jeder US-Bar. Nascar-Rennen. Noch. Später spielen die Phillies, das Baseball-Team. Hope Knight zeigt auf ein Bild in einer Glasvit-rine. Umgeben von Tellern, Mitbringsel der Besucher, mit den Aufschriften Melsungen, Königsbach, Fichtenau, Düsseldorf, Allgäuer Bauernchor. Über der Glasvitrine steht: „Schafft und erwerbt furchtlos und true – Cannstatter in Wort und Bild – gestiftet von dem Cannstatter Frauen Verein 1978”.

Hope Knight zeigt auf ihr Bild. Mit rotem Dirndl, blondem Zopf. Miss Cannstatter 2003. Hope Knight winkt ab. „Auch 2004 musste ich wieder ran, das zweite Jahr nacheinander”, stöhnt sie. Die Miss Cannstatter wird jedes Jahr gekürt und vertritt Philadelphia bei der nationalen Miss-Cornflower-Wahl Ende September in New York, im Rahmen der Steubenparade zu Ehren des preußischen Generals von Steuben, ohne den George Washington den Krieg gegen die Engländer niemals gewonnen hätte, wie hier jeder behauptet. Hope Knight klingt nicht gerade begeistert. Alle Kandidatinnen für die Wahl der Kornblumen-Prinzessin müssen per Vertrag zusichern, dass sie die Termine wahrnehmen. Das heißt: Dirndl an, repräsentieren, von einem deutschen Club zum anderen. Ein Jahr lang. „Der Nachwuchs ist nicht da”, zetert Hope Knight, „das ist das Problem.” Der Nachwuchs lernt in der Schule lieber Spanisch und nicht Deutsch. „Nach den beiden Weltkriegen”, sucht sie nach einer Erklärung, „war German nicht mehr so cool.” Werner Siegle setzt sich an den Tisch und sagt zu Hope Knight: „Wir sind die Dornen, Hope ist die Rose.” Die Miss Cannstatter 2003 lacht.

Werner Siegle, „Jahrgang 1939”, sagt er, war früher Präsident der Cannstatter. Er kam 1960 aus Berkheim, Esslingen. 1984 sei der Berkheimer Gesangverein in Philadelphia gewesen. „Ich hätte nicht gedacht, dass mein Dorf mich mal besuchen kommt”, sagt er. Seine Augen hinter der Brille werden größer. Manchmal, gibt er zu, vermisse er Deutschland schon – wegen der Freunde. Heimweh, ein bisschen? Nein, nein. „In Deutschland ist alles geregelt, hier ist anything goes”, sprudelt er drauf los. „In so einem kleinen Dorf wie Berkheim, da weiß jeder, was man macht. Meine Cousine wusste immer Bescheid, was ich so treibe.” Das sei hier, in den USA, in Philadelphia, ganz anders.

Die Trachtenkapelle macht im Festzelt Werbung: „Our CD is ten Dollars.” Volksmusik für diejenigen, die keinen Ghettoblaster mitgebracht haben. Deutsches Liedgut für den Hausgebrauch in den Suburbs, die meisten der Cannstatter leben in den Vororten Philadelphias. Es scheint, als haben sie ihr Deutschlandbild von damals mitgenommen nach Philadelphia – und hier eingefroren. Ein älteres Deutschland. Frühe Bundesrepublik, vielleicht. Rudi Pflüger sagt „Anschluss”, wenn er Wiedervereinigung meint. Und sie sagen alles auf Schwäbisch mit amerikanischem Akzent. „Ich bin mit 21 Jahren hierher gekommen”, sagt Werner Siegle, „da geht die Zunge nicht mehr mit.” Oder sie sprechen in einem Mix aus schwäbisch und amerikanisch. Wie Siegle: „It's Wahnsinn, in Deutschland müsst i Kirchesteuer zahle, you know.” An einem Stand verkaufen sie Gartenzwerge.

Rudi Pflüger schaut auf die „fruit column”, wie er sagt. „Na”, er überlegt, „ja, die Fruchtsäule.” Knapp zehn Meter hoch, am Anfang des Festgeländes. Handarbeit. Jedes Jahr. Eine der schönsten war die Fruchtsäule vergangenes Jahr. Mit den Gebrüdern Grimm. Märchenszenen haben sie auf Holzplatten gemalt – und dann Mais, Birnen, Zwiebeln, Kürbisse, Bohnen und Kartoffeln aufgeklebt. Hans im Glück, Hänsel und Gretel, die Bremer Stadtmusikanten und Rumpelstilzchen. „Das ist alles original, nicht aus Plastik”, trumpft Rudi Pflüger auf, „die hier ist schöner als in Cannstatt.” Einer von der Trachtenkapelle sagt ins Mikrofon, sie spielen jetzt noch „Gute Nacht, wünsch ich dir”. „Good night, I wish you.”


von Thilo Knott



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