„... ständig wurden Tausende Menschen entleert“

 

Von der Pferdebahn zur U-Haltestelle „Fruchtsäule“

Seit nunmehr genau 138 Jahren spielen die Stuttgarter Straßenbahnen eine wichtige Rolle im Volksfestablauf. Millionen und Abermillionen Vergnügungshungriger wurden in dieser Zeit zum und vom Festgelände befördert. Höhepunkt der Fahrt mit der Stadtbahnlinie U 11 ist heute die Ankunft bei der Endhaltestelle „Fruchtsäule“ mitten im Festgeschehen. Welche andere Stadt kann einen solchen Komfort bieten?


Mit der Pferdebahn ins Vergnügen

Die Pferdebahn, der Vorgänger der Stuttgarter Straßenbahnen, wurde am 29. Juli 1868 – zunächst vom (heutigen Hauptstaatsarchiv) am Charlottenplatz zum Vergnügungsbad Berg (Mineralbad Berg) – eröffnet, um dann beim Mineralbad Leuze über einen kleinen eisensteg das Ziel der Lustbegierde, das Cannstatter Volksfest, zu erreichen. Die acht „Garnituren“, die insgesamt jeweils 40 Personen fassen konnten, dürften allerdings nicht allzu sehr zu Buche geschlagen haben, hatte aber zweifelsohne den Lustgewinn, nicht mehr von den ruppigen „Fiacres“, die am Waisenhaus auf Kundschaft warteten, abhängig zu sein.

Der Stuttgarter Schriftsteller Carl Theodor Griesinger (1809-1884) stellte diesen „Nahverkehrsunternehmern“ in seinen 1843 erschienenen „Silhouetten aus Schwaben“, ein nicht gerade schmeichelhaftes Zeugnis aus, wenn er schreibt, sie seien die Unverschämtheit selbst und während des Volksfestes müsse man froh sein, wenn er „so gnädig ist“ und dich mitnimmt. Doch nicht nur das berühmte Rad der Geschichte dreht sich weiter, auch das des Nahverkehrs. Bereits schon ein Jahr später, 1869, - die Bahn fuhr inzwischen bis zum „Alten Hafen“ Neckartalstraße – schrieb das „Amts- und Intelligenzblatt für das Oberamt Cannstatt“ (heutige Cannstatter Zeitung), dass das neue Verkehrsmittel ständig Tausende von Menschen entleere ...


Elektrisch soll es besser gahn ...

Sie galt zwar als lustiges Vergnügen, aber als „Massenverkehrsmittel“ war die Pferdebahn inzwischen doch reichlich antiquiert. Nach knapp dreißig Jahren wurde zur Volksfesteröffnung 1895 die erste elektrische Straßenbahn-Teilstrecke zwischen dem Stuttgarter Charlottenplatz und Berg aufgenommen. Drei Jahre später, 1898, wird in der „Chronik für die Haupt- und Residenzstadt Stuttgart“ amtlicherseits festgestellt, innerhalb der vier Festtage seien 212 000 Personen nach und vom Wasen befördert worden.  Eine durchgehende Straßenbahn über die 1893 eingeweihte König-Karls-Brücke, ist erst 1897 zustande gekommen, nachdem sich die noch selbständige Cannstatter Straßenbahngesellschaft mit der Stuttgarter auf die Konzessionsbedingungen geeinigt hatten.

Die höchste Kapazität in der guten alten Zeit ist in den Jahren 1912 und 1913 erreicht worden. Während 1912 innerhalb von vier Tagen 859 000 Personen die Trambahn benutzten, quetschten sich allein am Haupttag des darauf folgenden Jahres fast 280 000 Personen gewissermaßen wie die Ölsardinen in die schwarz-gelben Wagen.

Vom Jahre 1929 ist zu vermelden, dass im gesamten Stuttgarter Netz über die fünf Volksfesttage annähernd 1,6 Millionen Fahrscheine verkauft worden sind. Alle „händig“ wohlgemerkt. Die Pressestelle stellt in diesem Zusammenhang fest: „Wenn man die Zeitkarten – und Schülerkarten hinzurechnet, so dürfte die Gesamtzahl über zwei Millionen liegen“.

 

Besonders rührig war man beim 100. Cannstatter Volksfest 1935. Eine „Freifahrkarten-Verlosung“, bei der täglich die Glücklichen ermittelt wurden, bildete einen weiteren Anreiz zur Fahrt mit der Straßenbahn. Als Gewinne gab es Fahrscheinhefte. Eine zusätzliche Vergünstigung war die Sperrung der Mercedesstraße für den Autoverkehr, um ein gefahrloses Überqueren der Straße zu gewährleisten. Die Fahrscheinlotterie ist auch in den folgenden Jahren fortgesetzt worden.

In den 1950er Jahren werden dann, über das inzwischen auf zehn, dann auf zwölf Tage ausgedehnte Cannstatter Volksfest, etwa eine Million Menschen befördert. Und immer mehr Besucher steigen heute, bedingt durch die Promillegrenze und das begrenzte Parkplatzangebot in den - nunmehr seit 1972 auf 16 Tage ausgedehnte Fest – auf das bequeme Nahverkehrsmittel um, das man lange Zeit nicht immer allzu positiv eingeschätzt hat.


von Hans Otto Stroheker 



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