Wer dir auf dem Heimweg hilft

40 Jahre Heimweghilfe auf dem Cannstatter Volksfest


Von Ferne treibt der Wind Musikfetzen aus den großen Festzelten herüber. Gemütlich wirkt der orangefarbene Container am Wasen-Verwaltungsgebäude nicht gerade. Es ist zwar angenehm warm und die Kaffeemaschine blubbert leise vor sich hin; doch die Ausstattung ist spartanisch: ein Schreibtisch und eine Biertischgarnitur, an der allerdings nie Bier fließt.

Mehr gibt’s nicht und mehr brauchen die freundlichen Helfer von der Heimweghilfe auf dem Cannstatter Volksfest auch nicht. Das einzige, was sie an diesem Abend brauchen, ist ihr Führerschein. Mit ihrem Engagement helfen die Mitarbeiter der in Deutschland einmaligen Institution Unfälle zu vermeiden und retten jährlich Hunderte von alkoholgefährdeten Führerscheinen. Sechs ehrenamtliche Fahrer stecken an diesem Abend die Köpfe zusammen und warten auf Kundschaft.


Und so funktioniert’s:

Der Wasenbummler kommt mit seinem Auto zum Volksfest und ein Fahrer der Heimweghilfe bringt ihn im eigenen Auto nach Hause. Der Vorteil: Das Auto steht am anderen Tag wieder zur Verfügung. Lediglich die Taxikosten für den Rücktransport des Fahrers muss der Zecher entrichten.

Peter Erb hält die Fäden in der Hand. Schon lange vor Eröffnung des Cannstatter Volksfestes spricht er vertrauenswürdige und verantwortungsbewusste Fahrer, meist in den Reihen des Motorsportclubs Stuttgart, an, ob sie nicht an ein paar Abenden mitmachen wollen. Inzwischen rekrutieren sich die ehrenamtlichen Helfer aus einem Pool von vierzig Fahrern. Der 21-jährige Marcel Frank aus Stuttgart erklärt seine Motivation so: „Ich freue mich, den Leuten helfen zu können. Jeder war doch schon mal in der Lage, nicht mehr fahren zu können.“ Der Führerschein ist schon bei 0,3 Promille, also nach einer halben Maß, gefährdet. Vor vierzig Jahren hatten Dekra-Präsident Rolf Moll und Verkehrsrichter Klaus Mickschick die Idee zur bundesweit einmaligen Heimweghilfe. Einmalig deshalb, weil keine Versicherung mehr bereit ist, in anderen Städten der Republik eine Haftung zu übernehmen. Peter Erb ist stolz auf diese Institution. „Die Allianz-Police wird jährlich fortgeschrieben. Heute würde das keine Versicherung mehr machen.” Der Vorteil dieser Police ist, dass der Fahrzeughalter im Falle eines Unfalls seinen Schadensfreiheitsrabatt nicht verliert. „In vierzig Jahren hatten wir bisher nur drei Unfälle, und das bei insgesamt 8000 Fahrten”, erzählt Peter Erb.

Es gibt sogar Kunden, die die Heimweghilfe regelmäßig in Anspruch nehmen. Viele Geschäftsleute haben täglich Einladungen zum Volksfest zu absolvieren, müssen aber am nächsten Morgen auf ihr Auto zurückgreifen können. Ein langjähriger Stammkunde, der im Fahrerjargon nur „Testarossa” genannt wird, preist die Vorzüge: „Die Abwicklung ist traumhaft. Es gibt keine bessere Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Beim Weindorf vermisse ich das sehr.” Stuttgarter Prominenz bedient sich regelmäßig der Heimweghilfe. Zufällig kommt gerade Erich Brodbeck, der Präsident der Stuttgarter Prominentenkicker, vorbei und fragt die Fahrer, „wie’s denn so läuft”. Früher fuhr er fast täglich mit der Heimweghilfe. Heute trinke er kaum noch Alkohol. Sagt’s und macht sich auf den Weg in den nächtlichen Volksfestzauber. 

Vor einigen Jahren kam ein stark angetrunkener Kunde zur Heimweghilfe und verlangte nach einem Fahrer mit Führerschein Klasse zwei. Dieser staunte nicht schlecht, als er beim Auto angekommen, einen 40-Tonner voll beladen vorfand. Auch in diesem Fall brachte der ehrenamtliche Helfer Fahrzeug und Fahrer sicher nach Hause.


von Wulf Wager



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